Juni 2013

Normandie

Um es gleich vorweg zu nehmen: Dieser Bericht handelt nicht von einer Flugzeug-Tour, sondern von einer Geschichts-Erkundungsreise durch Nordfrankreich. Wer sich für den Ersten und Zweiten Weltkrieg nicht interessiert, kann hier gerne mit Lesen aufhören. Alle anderen sind aber herzlich eingeladen, mich auf dieser einwöchigen Nordfrankreich-Reise zu begleiten.

Ich muss wohl etwa 17 Jahre alt gewesen sein, als ich zum ersten Mal die Normandie besuchte. Mein Vater hatte die Reise organisiert, und ich war effektiv nicht darauf vorbereitet gewesen, was ich damals zu sehen bekam. Wir bereisten einige Ortschaften und besuchten Sehenswürdigkeiten, von denen nicht mehr viel hängen geblieben ist. Nur der Friedhof der Amerikaner gleich neben dem Omaha Beach blieb eingebrannt in meinem Gedächtnis. Ich interessierte mich schon damals sehr für Geschichte, besonders die der Neuzeit, und war gespannt darauf, den Landungsstrand der Alliierten zu sehen. Natürlich habe ich auch die Zahlen gelesen, wie viele Soldaten am Längsten Tag gefallen waren und wie schlimm der Krieg doch war. Trotzdem übt das Thema des Kräfteringens zwischen ganzen Nationen eine Faszination aus und packt mich immer wieder. Dass dabei unzählige Kulturgüter, Gebäude, Städte und Menschenleben verloren gehen, rückt da immer ein wenig in den Hintergrund, obwohl es das nicht sollte. Als wir aber den Friedhof betraten, erstarrte ich förmlich vor dem Bild, das sich mir hier präsentierte. Wer schon einmal dort gewesen ist, der weiss, wovon ich spreche, und wer den Anfang des Spielfilms «Saving Private Ryan» kennt, bekommt einen ungefähren Eindruck von dem, was man dort zu sehen bekommt.

Der Friedhof liegt auf einer ganz leicht konvexen Fläche, so dass man das Ende, wenn man den Eingang beim Kopfende betritt nicht sehen kann. Das lässt den Friedhof unendlich lang erscheinen. In der Mitte befindet sich ein Weg, der die Ruhestätte in zwei symmetrische Hälften teilt. Links und rechts davon stehen unzählige Marmorkreuze und auch Marmorsterne (für die gefallene jüdische Soldaten), die Ihr Leben für die Befreiung Europas liessen. Es liegen zu beiden Seiten je 45 Gräber nebeneinander. Dahinter müssen mehr als 100 weitere Reihen folgen, denn es sind dort 9387 Männer beerdigt worden. Diese fielen alle bei der Operation Overlord (D-Day Invasion) oder kurz darauf an den Folgen von ihren Verletzungen.
Da wurde mir auf einen Schlag bewusst, wieviele Opfer der Krieg forderte, und tiefe Betroffenheit überkam mich. Auch heute, wenn ich zurückdenke, habe ich immer noch dieses unangenehme Gefühl.
Wenn man diesen Friedhof besucht, wird die Geschichte plötzlich sehr real und präsent. Und dies nicht auf eine heroisierende, sondern auf eine demütigende Weise. Viele der Soldaten waren nur wenig älter als ich damals selber war. Eine unglaubliche Verschwendung von Menschenleben…
In der Zwischenzeit habe ich den Friedhof bereits drei Mal besucht, und es berührt mich auch heute immer noch wie beim ersten Mal.

Ein Freund von mir, der in Kanada wohnt, hat ebenfalls eine sehr enge Bindung zur Deutschen Geschichte, denn einer seiner Verwandten durchkämpfte damals die ganze Strecke von Nordfrankreich bis nach Deutschland.
Er wollte während einer Woche diesem Weg (zumindest in Frankreich) folgen und dazu auch noch andere geschichtsträchtige Orte besuchen. Er fragte mich, ob ich mitkommen würde, und natürlich sagte ich zu.

Die Geschichte der Mohnblumen

Longues-sur-Mer

Wir starteten unsere Reise in Paris und fuhren mit dem Mietwagen nach Bayeux ins Musee Memorial 1944 Bataille de Normandie, welches ungefähr 20 km west-nordwestlich von Cean liegt. Gleich daneben liegt der erste Alliierten-Friedhof, von denen wir in den nächsten Tagen noch erdrückend viele zu Gesicht bekommen sollten.
Noch am selben Tag fuhren wir weiter nordwärts nach Longues-sur-Mer zur nur ungefähr 5km entfernten Küste. Das Panorama dort war zauberhaft. Es gab Kornfelder, soweit das Auge reichte, und überall blühten rote Mohnblumen. Im Commonwealth – also im britischen, kanadischen, australischen und neuseeländischen Raum – werden die Blumen vor allem zum Gedenken an die Gefallenen im Ersten wie auch Zweiten Weltkrieg benutzt. Es wird ihnen nachgesagt (oder geglaubt), dass überall dort, wo ein Soldat gefallen sei, diese Blumen besonders gut gedeihen sollen und das Grab als Mahnmal schmücken. Ein beklemmender Gedanke, wenn man durch die endlosen Wiesen spaziert, denn die Blumen sind überall zu finden…

Vom Norden Norwegens bis in den Süden der Bretagne

Atlantikwall

An diesem Strandabschnitt stehen auch heute noch immer die eindrücklichen Verteidigungsgeschütze des Deutschen Atlantikwalls, der die Alliierten daran hindern sollte, eine Invasion erfolgreich durchzuführen. Es ist erstaunlich, wie viele Ressourcen die Deutschen in so kurzer Zeit in den Bau investiert hatten, obwohl sie es aus eigener Erfahrung doch besser hätten wissen sollen. Denn die Franzosen hatten ebenfalls einen Verteidigungswall, «die Maginot-Linie» gebaut, um eine deutsche Invasion abwehren zu können. Doch die Deutschen umgingen diese, indem sie zuerst Belgien und Luxembourg überrannten. Später wagten sie aber zusätzlich einen Frontalangriff, und unter nur minimalen eigenen Verlusten eroberten sie innert kürzester Zeit diese Verteidigungslinie.
Weshalb sollte es beim Atlantik Wall anders sein? Besonders, da das zu verteidigende Gebiet nicht ein Streckenabschnitt zwischen Deutschland und Frankreich war, sondern von der Nordnorwegischen Küste über Dänemark (Norwegen und Dänemark waren damals ebenfalls vom Dritten Reich besetzt gewesen) bis in den Süden der Bretagne reichen sollte. Ein Verteidigungsring ist sehr kostenintensiv, bindet viele Arbeitskräfte, Soldaten und Ressourcen, ist statisch und nicht flexibel einsetzbar. Ein Gegner kann sich deshalb den Zeitpunkt und Ort aussuchen, wo er zuschlagen will. Der Verteidiger hingegen kann auf eine Aktion nur reagieren und nie selber die Initiative ergreifen. Wenn die Anlage aber gut ausgebaut ist, ist es für den Angreiffer nur unter hohen Verlusten möglich, die eingegrabenen Stellungen zu erobern. Zudem kann der Verteidiger sehr effektiv den Aggressor mit wenig Männer bekämpfen.

Trotz der überwiegenden Nachteile dieser Verteidigungsanlagen und trotz besseren Wissens, bauten die Deutschen mit Hochdruck an diesem Wall, da alle mobilen Einheiten im Osten gegen die Rote Armee benötigt wurden. Sie konnten es sich schlichtweg nicht leisten, ganze Armeen in Frankreich stationiert zu halten und zu warten, bis denn eine Invasion stattfinden würde.

Die Bunkeranlagen sehen für Wahr eindrücklich aus. Die 150mm Geschütze sind immer noch vorhanden und zielen auch heute noch auf einen Feind, der nie hergekommen war. Viele der Bunker zeigen Spuren von Einschussdellen, und zum Teil haben sie von den unzähligen Luftangriffen grosse Löcher von Bombentreffern erhalten

Mulberry Bridge

Arromanches-les-Bains

Gegen Abend fuhren wir ins malerische Arromanches-les-Bains, welches gleich an der Küste liegt, und übernachteten im kleinen Hotel de la Marine. Von unserem Zimmer aus hatten wir direkte Sicht auf das Meer, und überall konnte man die Überreste der «Mulberry Bridge» sehen.
Die Idee dieser Betonklötze war, einen künstlichen Hafen vor der Küste zu bauen, um die Invasionsstreitkräfte weiter mit Nachschub und Verstärkung versorgen zu können. Die Schlüsselhäfen Le Havre und Brest, die immer noch in deutscher Hand waren, konnten erst nach deren Eroberung genutzt werden. Zudem waren sie durch das Dauerbombardement der Alliierten stark beschädigt gewesen und selbst nach der Eroberung nicht von Anfang an voll nutzbar. Der Bau dieser Hafenanlage begann nur einen Tag nach der Invasion. Am 19. Juni fegte aber ein drei Tage dauernder Sturm über die Normandie, der die noch nicht gesicherte Mulberry A komplett zerstörte. Die Amerikaner verzichteten daraufhin, den Komplex A zu reparieren. Mulberry B blieb aber bis im Oktober in Betrieb und leistete einen sehr wichtigen Beitrag für die Alliierten, Nachschub, Rüstungsmaterial und schweres Gerät nach Frankreich zu transportieren.

Der Kanadische D-Day Abschnitt

Juno Beach

Tags darauf besuchten wir Juno Beach, die von den Kanadiern erobert wurde. Weil es den Kanadiern zuerst nicht gelang, Ihre Panzer an die Front zu bringen, mussten die Infanteriesoldaten ohne schweres Geschütz den Strand einnehmen. Die Verluste waren dadurch unglaublich hoch, fast die Hälfte aller zur Verfügung stehenden Soldaten vielen in der ersten Invasionsstunde.
Der Strand sieht heute sehr friedlich und idyllisch aus und lädt zum Spazieren und Baden ein. Denkmäler und Flaggen jedoch weisen darauf hin, dass hier einmal etwas historisch Grosses und Schlimmes geschehen sein musste. Der Grossonkel meines kanadischen Freundes war auch hier an Land gekommen und hatte sich ab hier durch Frankreich gekämpft. Wenn man einen persönlichen Bezug zur Geschichte herstellen kann, dann wird sie noch viel lebendiger und bewegt einen zutiefst.

Colombiers sur Seulles

Der nächste Halt war bei Colombiers sur Seulles, ein kleiner Weiler mit einem kleinen Fluss und einer Brücke. Die Brücke ist etwa 15 Meter lang und die Strasse ist so schmal, dass zwei Lastwagen darauf nicht kreuzen könnten. Doch für die Alliierten war dies ein strategisch wichtiger Übergang und die Kanadier mussten hier Stellung beziehen und mit Ihren 40mm Bofors Kanonen die Brücke schützen. Tatsächlich versuchte die deutsche Luftwaffe mehrmals, die Brücke zu bombardieren und eine Ju-88 ging durch das kanadische Abwehrfeuer verloren, ohne dass das Ziel von den Deutschen zerstört werden konnte.

Erinnerungsstädte und Friedhöfe

Abbaye d'Ardenne

Wir folgten weiter den Spuren des kanadischen Vorfahren, besuchten weitere Friedhöfe und Gedenkstätten. Eine davon befindet sich in Abbaye d’Ardenne, wo 27 kanadische Kriegsgefangen von der Waffen-SS exekutiert wurden. Insgesamt besuchten wir 7 Alliierten Ruhestätten und einen Deutschen Friedhof. Der Deutsche ist extrem gross und es sind dort 22187 Soldaten begraben. Im Gegensatz zu den Alliierten-Friedhöfen liegen hier pro Kreuz mindestens zwei, meistens aber drei Soldaten.

Erster Weltkrieg

Arras

Wir fuhren anschliessend weiter Richtung Arras, eine Frontstadt aus dem Ersten Weltkrieg. Das Museum, wie auch die Gedenkmauer aller gefallener Soldaten bei dieser Schlacht, sind absolut sehenswert. Es wird viel über die Zustände und die Grabenkriege jener Zeit berichtet.

Das Kanadische Denkmal ausserhalb von Arras – ganz aus weissem Marmor gebaut – ist ebenfalls wunderschön in diese malerische Landschaft gebaut worden und erinnert würdevoll an die barbarische Zeit von 1914 bis 18. Die ganze Umgebung ist von kleinen Hügeln und vielen Bäumen durchzogen. Dazwischen sind immer wieder rote Warnschilder platziert, die darauf hinweisen, dass das Betreten unter Lebensgefahr verboten ist. Noch immer liegen hier Blindgänger und Minen überall verteilt. Auch mehr als 100 Jahre nach dem grossen Krieg sind die nicht gezündeten Geschosse immer noch scharf und gefährlich. Die Hügellandschaft, das realisierte ich erst nach einer ganzen Weile, hatte keinen natürlichen Ursprung. Sie entstand durch den nicht enden wollenden Artillerie-Beschuss beider Seiten und zerfurchte und entstellte das Land auf diese Weise. Heute ist alles mit Gras überwachsen und weidende Schafe lassen es sich hier gut gehen. Doch die Narben sind gut erkennbar

Nahe Wizernes

La Coupole

Relativ nahe der belgischen Grenze bei Wizernes befindet sich ein gewaltiger Kuppelbau, der von den Franzosen nur La Coupole genannt wird. 1943 starteten die Deutschen den Bau dieser gigantischen Bunkeranlage zum Herstellen und Starten der berüchtigten Vergeltungswaffe 2 (V2). Die Anlage verfügte nebst dem massiven Betonschutz über eine eigene Eisenbahnzufahrt, mit der die Bestandteile der V2 zur Montage angeliefert werden sollten. Damit wäre eine hohe Serienproduktion möglich gewesen. Der Grundgedanke war, eine Anlage zu bauen, die jegliches Bombardement überstehen würde und von der man die V2 nach London und Südengland schiessen konnte. Die V2 selber war die erste ballistische Interkontinentalrakete überhaupt, und die Anlage war der erste Prototyp der späteren Silos für die ICBM’s (Interkontinentalraketen), welche die Amerikaner und Russen heute zu Hunderten im Einsatz haben. Der Bau wurde unter der ständigen Bombardierung der Alliierten durchgeführt (14 Angriffsmissionen fanden statt) und wurde beinahe vollendet. Dank dem Einsatz der britischen superschweren Tallboy-Bombe (5.4 Tonnen), die extra für die Zerstörung solch schwerer Bunkeranlagen entwickelt worden war, gelang es den Engländern, die 20 Meter dicke Stahlbetonkonstruktion zu durchschlagen. Der Bau wurde dann kurz vor dessen Vollendung aufgegeben. Heute dient er als Museum (sehr empfehlenswert!). Es ist wirklich kaum zu glauben, was die Deutschen in dieser sehr kurzen Zeit unter widrigsten Bedingungen aufgebaut hatten. Auch dass es umgekehrt überhaupt möglich war, diesen Bunker zu knacken, erscheint auch heute noch ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
Das Museum zeigt ein paar sehr seltene Exponate, neben der V2 auch eine bemannte Version der V1 (der erste Marschflugkörper der Welt). Die Idee war, einen Piloten in das Raketenflugzeug zu setzen, weil die damalige Zielgenauigkeit viel zu ungenügend für präzise Bombardements war. Dies wäre ein -im wörtlichen Sinne- Himmel-Fahrts-Kommando gewesen. Bis dahin wusste ich nicht, dass nicht nur die Japaner, sondern eben auch die Deutschen über einen solchen Einsatz nachdachten. Hitler persönlich lehnte das Design aber mit der Begründung ab, dass ein deutscher Pilot viel zu wertvoll wäre, um Ihn auf einer solchen Mission so zu verheizen.
Neben den Raketen befinden sich aber auch Dokumente, die eindrücklich darstellen, wie viele V2 während des Krieges nach England abgefeuert wurden und welchen Schaden diese anrichteten. Mir war nicht bewusst, dass Deutschland so viele dieser Vergeltungswaffen zur Verfügung hatten.

Das ``Blockhaus``

Nur ein paar Kilometer weiter nördlich befindet sich das Blockhaus. Ein - rein optisch - komplett anderer Bau, die Funktion war aber dieselbe. Auch hier sollte eine Fertigungs- und Startanlage für die V2 gebaut werden. Ebenfalls mit einem integrierten Bahnhof und einer Chemieanlage, welche den Treibstoff gleich selber hätte herstellen sollen. Auch diese Anlage erlitt einen Volltreffer einer Tallboy-Bombe und kam nicht mehr zum Einsatz. Auch das Blockhaus ist heute ein sehenswertes Museum.

Dünkirchen

Dunkerque

Wenn wir bereits so nahe an der Belgisch-Französischen Grenze waren, so wollte ich unbedingt nach Dunkerque fahren. Dieser Ort ist für einen Zweit-Weltkrieg-Interessierten, wie ich es bin, sehr wichtig. Aus meiner Sicht hatte die deutsche Wehrmacht den gesamten Zweiten Weltkrieg bereits an diesem Ort verloren. Obwohl es damals definitiv noch nicht so aussah, hatte die Deutsche Führung dort einen wirklich strategischen Vorteil komplett verspielt. Natürlich begibt man sich bei solchen Überlegungen immer in die Welt der Mutmassungen, doch glaube ich nach wie vor, dass der Krieg anders verlaufen wäre, wäre Dunkerque im Sturm erobert und nicht zuerst belagert worden.

Wer nicht weiss, was dort passiert ist und eine kurze Ausführung wünscht, der findet diese in diesem Abschnitt. Ansonsten bitte ab dem nächsten Abschnitt weiterlesen.
Die Deutsche Wehrmacht überfiel im Frühling 1940 die Niederlande, Belgien und Dänemark um einen freien Zugang nach Frankreich -dem eigentlichen Ziel- zu bekommen. Der Angriff direkt von der Deutschen Grenze aus im Süden war riskant, da dieser Grenzabschnitt über massive Verteidigungsanlagen verfügte. Durch den Überraschungsangriff auf die neutralen Länder im Norden mussten die Franzosen in überstürzter Eile eine neue Verteidigungslinie einrichten, die die Deutschen aber mit Ihren motorisierten Verbänden extrem schnell zu umgehen oder zu überrennen wussten. Die Wehrmacht war zu jenem Zeitpunkt die modernste Armee der Welt, und was die Armee nicht erledigen konnte, dass räumte die Luftwaffe mit Ihren Sturzkampfbombern aus dem Weg. Die Franzosen hatten damals die grösste Armee der Welt, aber sie war zum Teil hoffnungslos veraltet. Da die Engländer zusammen mit den Franzosen Deutschland den Krieg erklärt hatten, sandten die Briten Ihr Expeditionskorps ebenfalls auf das Europäische Festland, um den Franzosen zu helfen. Es handelte sich dabei fast um die komplette britische Armee. Die Deutschen waren bei Ihrem Vorstoss durch Belgien aber so unglaublich schnell, dass sich die Engländer nur noch in aller Eile und entsprechend unkoordiniert zurückziehen konnten. Bei Dunkerque wurde beinahe das gesamte Expeditionskorps von weit mehr als 300’000 Mann eingekesselt. Doch dann geschah etwas Seltsames: die Deutschen Truppen stoppten und gaben den Engländern die Möglichkeit, fast alle Soldaten zu evakuieren. Das Material blieb zurück, aber die Männer überlebten, konnten neu ausgerüstet werden und kämpften später in Afrika, Griechenland, Italien und am D-Day wieder in Frankreich und trieben die deutschen Truppen bis nach Berlin zurück.
Weshalb die deutschen Truppen dies zuliessen, ist bis heute umstritten. Es gibt Berichte, die besagen, dass die Truppen durch den extrem schnellen Vormarsch zu sehr verschlissen wurden, um noch einen Angriff durchzuführen, und die Fahrzeuge zuerst gewartet und aufmunitioniert werden mussten. Es gibt aber noch eine andere Version, die besagt, dass Hitler persönlich den Befehl gegeben habe zu stoppen, damit die Engländer evakuieren konnten. Adolf Hitler wollte von Anfang an keinen Krieg mit den Engländern führen, er hielt sie ebenfalls für arisch und eine Herrenrasse. Sein Plan wäre gewesen, zusammen mit den Engländern einen Invasionskrieg gegen Russland zu führen. Es könnte also sein, dass er den Engländer auf diese Weise eine Nachricht zukommen lassen wollte, dass er keine bösen Absichten gegen sie hege und ihnen gestattete, sich aus dem Krieg zurückzuziehen. Wenn das tatsächlich so gewesen sein sollte, dann wissen wir heute, dass es nicht funktionierte. England zog sich nicht zurück.
Was aber wäre gewesen, wenn die deutschen Truppen die 300’000 Soldaten gefangen genommen hätten? Nun, dann hätte England keine Armee mehr besessen und Operation Seelöwe (die Eroberung Grossbritanniens) wäre möglicherweise tatsächlich durchgeführt worden.
Ganz bestimmt aber hätten die Italiener in Afrika keinen nennenswerten Wiederstand angetroffen und Mussolini hätte ohne Probleme seinen Traum vom zweiten Rom erfüllen können. Wie weit die Italiener marschiert wären, ist ebenfalls reine Spekulation, doch wäre die nordafrikanische Küste von Tunesien bis Ägypten bestimmt in die Hände des Duce’s gefallen, wie auch Palästina und das Horn von Afrika mit Äthiopien, Somalia und dem heutigen Eritrea. Dies wiederum hätte die Bindung deutscher Truppen im Mittelmeer obsolet gemacht, und die Invasion auf Russland hätte bereits – wie ursprünglich auch geplant -im Frühling 1941 durchgeführt werden können- und nicht erst Ende Juni. Somit hätte die Wehrmacht wesentlich mehr Zeit und auch mehr Truppen bis zum Winter zur Verfügung gehabt. Da die Sowjetunion sehr zentralistisch organisiert gewesen war -fast alle Strassen und Eisenbahnen führten nach Moskau- wäre eine gut funktionierende Logistik kaum mehr zu bewerkstelligen gewesen und die Ostfront hätte zusammenbrechen können. Mit einer Kapitulation Russlands in diesem Krieg wäre die Fortsetzung für die Amerikaner fast nicht mehr durchführbar gewesen. Auch ein Invasionsversuch nach Deutschland wäre mit dem Wegfall der Britischen Insel sehr viel schwerer geworden. Zudem hätten die Amerikaner nun alleine einen Zweifrontenkrieg führen müssen.
Wie gesagt, das sind reine Mutmassungen und Spekulationen, aber es fasziniert mich immer wieder, welch (relativ) kleine Entscheidungen zu extrem grosser Tragweite führen können. Und genau dies könnte hier in Dunkerque passiert sein.

Vergeltungswaffe 3

V-3

Am nächsten Tag besuchten wir dann die V3 Anlage. Bis dahin wusste ich noch nicht einmal, dass es diese gab. Bei der Vergeltungswaffe 3 handelt es sich um einen unterirdischen Artilleriestand, der Geschosse über den Kanal nach England verschiessen sollte. Dabei wurden fünf Rohre übereinander gebündelt und an jedem Rohr (welches 140 Meter lang war) in regelmässigen Abständen Treibladungen paarweise montiert. Wurde nun ein Geschoss gezündet, glitt es durch das Rohr, bis es das erste Treibladungspaar passierte. Geschah das, wurde die Ladung gezündet und das Projektil beschleunigte weiter, es passierte die nächste Treibladung, diese zündete ebenfalls, das Geschoss beschleunigte weiter uswusf. Das geschah in extrem kurzen Zeitabständen und das Geschoss bekam so eine unglaublich hohe Geschwindigkeit, die ausreichte, über den Kanal bis nach London zu fliegen. Es sollten 10 Batterien à 5 Kanonen mit einem Kaliber von 150mm gebaut werden. Damit hätte man eine Kadenz von einem Projektil alle 30 Minuten erreichen können. Das Austauschen der leeren Treibladungen auf 140 Metern Länge war sehr zeitintensiv. Natürlich musste eine solche Konstruktion vor Luftangriffen geschützt werden. Deshalb begann der Bau im September 1943 in einem massiven Kreidefelsen, der der Anlage einen natürlichen Schutz gab und von aussen fast nicht zu sehen war. Dabei wurde ein 600 Meter langer Eisenbahntunnel aus dem Felsen gesprengt, und von dort wurde dann der Komplex weiter ausgebaut. Nicht einmal ein Jahr später war die Anlage schon zum grossen Teil fertiggestellt worden. Allerdings starteten auch hier die Engländer wieder einen Angriff mit der Tallboy Bombe und beschädigten die Anlage schwer, und auch hier wurde nie ein Schuss nach London abgefeuert.
Das Museum ist gigantisch. Auch hier kann man sich kaum vorstellen, was in der extrem kurzen Zeit alles gebaut wurde. Das meiste waren Zwangsarbeiter, die unter widrigsten Bedingungen unter Tage graben mussten. Die Stollen sind lange nicht alle begehbar, viele sind einsturzgefährdet. Doch allein, was noch intakt ist, hat unvorstellbare Ausmasse. Die Kanone selber ist an einer Stelle ebenfalls noch zu sehen. Absolut sehenswert!

V-1 Startrampe

Le Wast

In einem kleinen Waldstück nahe Le Wast haben wir noch eine V1 Bunkeranlage besucht, welche mitten im Wald steht. Zu Beginn der V1 Startversuche hatten die Deutschen befestigte Anlagen gebaut. Diese waren aber nicht mobil und einfache Ziele für die feindlichen Bomberverbände. Der ganze Wald ist auch heute noch mit Kratern übersät, die Bunker sind schwer beschädigt.
Deshalb hat die Wehrmacht Ihre Strategie schnell geändert und mobile Plattformen auf Lastwagen gebaut. Die konnten nach dem Start schnell demontiert und anderswo wieder zum Einsatz gebracht werden.

Dies waren die wichtigsten Stopps unserer Reise und es war wirklich sehr spannend gewesen. Es gibt der vergangen Geschichte etwas Reales, wenn man selber an diesen historisch relevanten Ereignisorten gewesen ist.